Mein wertvollstes Geschenk: Eine kritische Denke

Hallo Ihr Lieben,

mehr denn je hinterfrage ich in diesen Tagen mal wieder unsere Welt und die Zukunft, die sie für den kleinen Piranha und seine Generationsgenossen bereithält.

Dabei läuft vor meinem inneren Auge auf der einen Seite ein Horrorfilm ab: Kinder, die Trotz Massen an Konsumgütern und weggeworfenen Lebensmittel verhungern, Kinder, die auf ihrer Flucht in ein besseres, sichereres Leben ertrinken, Kindern, denen von schwerkranken Erwachsenen unvorstellbare Gewalt angetan wird, Kinder, die auf einen Popkonzert ihr Leben lassen, weil ein Wahnsinniger im Wahn seiner Ideologie so entscheidet…Ideologien, die sich die Verzweiflung von Menschen zunutze machen…ich könnte die Liste endlos fortsetzen, aber Ihr habt selbst ein Bild vor Augen.

Black Baby and White woman holds hands with a little baby native African girl, in Bamako, Mali. Peace on earth symbol. A beautiful shot with lots of possible background symbols. No to Racism!

Hoffnung statt Verzweiflung und Bildung für Freiheit…meine Wünsche für mein Kind… (Bild: Fotolia: Riccardo Niels Mayer)

Gleichzeitig denke ich an die Schönheit dieser Welt, liebevolle Begegnungen auf Reisen, Menschen, die ich liebe und die mich zum Lachen bringen, Hilfsbereitschaft, geteilte Träume, gelebtes Glück, die Geburt meines Kindes und tiefe Dankbarkeit: für meinen Sohn, unser Leben in Sicherheit und einer liebevollen Familie, meinen Schul- und Universitätsabschluss und alles, was mich das Leben und meine Bildung bisher geleert haben.

Jede mathematische Formel, jedes meiner Prüfungsthemen, selbst die Inhalte der Romane, über die ich mündlich befragt wurde, habe ich inzwischen vergessen. Ich habe keine Ahnung, wie Photosynthese funktioniert. Wenn mir ein Freund, der Physiker ist, in einfachsten Worten erklärt, was er macht, kann ich nur nicken und denken „ja, sowas habe ich schon mal gehört“.

Was ich aber niemals vergessen werde, ist die Fähigkeit, kritisch zu denken und Wissen zu hinterfragen. 

Ich habe meine Magisterarbeit über mexikanisch-amerikanische Dramatik geschrieben. Der Kampf der Frauen um Gleichberechtigung, die Auseinandersetzung mit globalen Themen wie Feminismus, Rassismus und Widerstand. Ich habe unzählige Abhandlungen und Romane gelesen, unzählige theoretische Modelle studiert, ich habe viel gelernt, viel vergessen und doch das Wesentlichste und Wertvollste behalten: Die Fähigkeit zur Reflektion und zur kritischen Auseinandersetzung mit mir selbst, mit unserer Gegenwart und meinem Leben.

Wenn ich noch mal frei nach Interesse studieren könnte, würde ich Ethnologie studieren. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich über kulturelle Identität in amerikanischer Literatur promovieren. Nein, ich würde mich stärker sozial engagieren – und wenn ich dann noch Zeit hätte, meinen Dr. machen.

Denken lehrt Dankbarkeit und Demut

Was immer der kleine Piranha einmal machen wird, wen immer er einmal lieben wird: Ich will ihm genau diese Fähigkeiten mit auf den Weg geben, um in einer Welt, in der wir morgen leben, physisch und psychisch zu überleben. Ihm eine Bildung ermöglichen, die ihm die Chance gibt, die Welt zu verstehen und sie doch zu lieben, und nicht an ihr zu zerbrechen. Und sie im besten Fall ein Stückchen besser zu machen.

Nachdenkliche Grüße,

Eure Single City Mama

Von Watt & Wertschätzung

15 Tage auf der ostfreezischen Insel Borkum und der kleine Herr Piranha (der inzwischen in einer maritimen Latzhose gewandet im Speisesaal sein Unwesen treibt) und ich fühlen uns richtig wohl.

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Herrliche Sonnenuntergänge sieht man zwischen 17.00 und 18.00…

Allmählich sind wir angekommen: Auf der Insel, in der Gruppe, bei uns selbst. Apropos Gruppe: heterogener könnte unser heiter-trubeliges „Mama-Rudel“ (und sechs kurende Papas) – angereist aus der ganzen Bundesrepublik – nicht sein. Jeder bringt sein Päckchen mit – der Alltag mit Job und Kind(ern), die Partnerschaft, der ständige Spagat des Muttitaskings – und öffnet sich in der Gruppe nur soweit, wie er möchte.

Für den Rest sind die Ärzte, Krankenschwestern, Physiotherapeuten und Psychologen da. Und die basteln uns täglich ein straffes Programm: Je nach Indikation gibt es Sportkurse wie Nordic Walking, Aqua Fitness und Wirbelsäulenaerobic, aber auch psychologische Einzelstunden und Gruppenseminare zu den Themen Selbstwert, Stressbewältigung und Erziehungskompetenz. Zum Entspannen hat man die Wahl zwischen Progressiver Muskelrelaxation (PMR) und Autogenem Training. Alles findet unter Anleitung und in kleinen Gruppen statt – die Kiddies sind währenddessen in altersgerechten Kindergruppen betreut.

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Der kleine Piranha liebt den Spielplatz am Strand…

Wir 16 Mamas und Papas sind ebenso bunt zusammen gewürfelt, wie unsere Kinder, aber nach 14 Tagen hat sich – aller unterschiedlicher Biografien, Lebens- und Erziehungsentwürfen zum Trotz – eine echte Gruppendynamik und Solidarität heraus gebildet.

Als ich kürzlich mit einer Kinderbetreuerin kurz aneinander geriet, konnte ich auf die Mädels zählen. Als es mir nicht gut ging, wurde ich in den Arm genommen und täglich wird gefragt, was wir machen und wie es uns geht. Und man merkt schnell, dass das Interesse von Herzen kommt. Offen und ehrlich wird über persönlichste Bau- und Schwachstellen geplaudert, wir lachen zusammen, wir schwitzen zusammen – und das mit ganz viel Respekt und gegenseitiger Toleranz und Wertschätzung.

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Wunderschön und besinnlich: Borkum im Nebel…

Dabei ist es auch völlig ok, wenn man sich nach dem Zubettbringen der Kinder selbst zurück zieht – oder mal eine Stunde allein am Strand verbringen möchte. Wir alle sind gezwungen, uns unseren Ängsten und Problemen zu stellen und unter Anleitung Lösungsstrategien- und Kompetenzen zu erarbeiten. Ein wichtiger Schritt, der auch manchmal schmerzhaft ist – die Ablenkung des Alltags fehlt.

Mein (Zwischen-) Fazit nach 2 Wochen: Die Kur ist für den kleinen Piranha und mich ein echter Gewinn. In einer Woche fahren wir wieder nach Hause – und werden ganz viel mitnehmen und noch mehr hierlassen.

Stürmische Grüße,

Eure Single City Mama