Lieblingsleser,
gestern Abend löste eine Wahl-o-mat-Frage bzgl. der Hamburger Bürgerschaftswahl 2020 familiären Zwist aus.
Am 23. Februar wird die Hamburger Bürgerschaft gewählt. Da ich politisch weder übermäßig bewandert noch überdurchschnittlich interessiert bin, hatte ich mich bisher noch nicht intensiver mit den einzelnen Wahlprogrammen beschäftigt.
Entsprechend entschied ich mich für den Wahl-o-maten, ein Umfragetool, das meine Meinungen mit denen der Parteien abgleicht. Das Ergebnis war wenig überraschend – und ergab eine inhaltliche Nähe zu Parteien, mit deren Zielen ich mich guten Gewissens identifizieren kann.

Natürlich beinhaltete die Umfrage auch Eltern-relevante Themen wie eine kostenlose Kitabetreuung, eine einheitliche Beschulung sowie die Frage, ob Schulen das klassische Familienbild „Mutter-Vater-Kind“ verstärkt „propagieren“ sollten. What the fuck???
„Natürlich nicht,“ echauffierte ich mich, als Tante Hu mir diese Frage stellte. Was ist das denn für eine bekloppte, weltfremde These? Tante Hu lachte und witzelte, dass sie meine Antworten eh vorhersehen konnte.
Sie hatte den Wahl-o-maten auch mit Baba-Opa gemacht und der (traditionell konservativ) hatte das fröhlich bejaht. „Du weißt schon, dass wir hier ein anderes Modell leben, oder?“ fragte sie ihn. Mein Vater wirkte ertappt.
Abends kam ich nicht umhin ihn ebenfalls zu konfrontieren. „Du findest also, Schulen sollten Kindern das „Mutter-Vater-Kind“-Modell predigen, ja?“ fragte ich angriffslustig. Mein Vater zuckte die Schultern „Klar, das ist ja das Normale“. Arghhhhhhh!
„Dein Enkel wächst mit zwei Frauen und Dir als engsten Bezugspersonen auf. Geht es ihm schlecht?“ fragte ich zornig mit einem Blick auf das Kind, das gerade vergnügt den Hund beschmuste. „Nein“, murmelte mein Vater und starrte gen Fernseher. Er hatte offensichtlich keine Lust auf eine Diskussion.
Naturgemäß regte ich mich noch eine Weile auf. Bei aller Toleranz ging mir die Tatsache, dass etwas so realitätsfernes auf Zustimmung meines eigenen Vaters stieß, nicht aus dem Kopf.
Jedem Trottel müsste doch eigentlich bewusst sein, dass nicht das Geschlecht der Bezugspersonen, sondern die Tiefe, Innigkeit und Verlässlichkeit von Bindungen für die emotionale Gesundheit eines Kindes wichtig ist. Da muss man doch nicht mal Seelenklemtner für sein. Und was bitte sollte es bringen, wenn Schulen Kindern ein bestimmtes Modell vorpredigen? Außer, dass es Vorurteile stärken würde.
Die von Baba-Opa befürwortete These bedeutete ja im Umkehrschluss, dass es völlig wumpe sei, ob Mutter und Vater sich verstehen, auswärts Ringe um sich reiten, Frustrationen nicht im Griff haben etc pp. solange sie X und Y-Chromosom in einem familiären Konstrukt repräsentieren. Und Schulen (!!) sollten Kindern das „traditionelle Bild“ vermitteln und damit gleichzeitig zu verstehen geben, dass bei Kindern Alleinerziehender und gleichgeschlechtlicher Partner etwas nicht in Ordung sei. What the fucking fuck?
Als der kleine Piranha geboren wurde, war ich allein, aber alles andere als allein. Den Vater des Piranhas und mich hatte eine eher unverbindliche Freundschaft und Liebelei verbunden, die erst nach der Geburt des Piranhas zu einem soliden, freundschaftlichen und respektvollen Verhältnis gewachsen ist. Und genau das richtige Maß an Distanz. In gewisserweise haben wir dabei viel Glück.
Ich habe das alleinige Sorgerecht für den Piranha, muss mir aber auch keine Sorgen um Unterhalt oder Unterstützung, wenn ich sie brauche, machen. Da der Vater des Piranhas etwa 400 Km weit entfernt wohnt, bin ich im Gegenzug sehr flexibel, was Besuche angeht – und aufgrund der Tatsache, dass der Piranha es nicht anders kennt und er uns zwar selten zusammen, aber wenn, dann immer freundschaftlich erlebt, macht es ihm augenscheinlich auch nicht das Geringste aus.
Anstelle eines Vaters, der öfter präsent ist, lebt er mit Tante Hu und Baba-Opa unter einem Dach. Beide lieben den Piranha abgöttisch. Meine Schwester hat während der Geburt meine Hand gehalten und ist die „Begünstigte“ meiner Sorgerechtsverfügung. Sollte mir etwas passieren, nimmt sie den Piranha zu sich. Einen größeren Liebesbeweis gibt es vermutlich nicht. Der Piranha ist zwar nicht biologisch, aber de facto auch „ihr Kind“ und er liebt seine Tante, oft die „strengste“ bzw. konsequenteste von uns allen, von ganzem Herzen.
Mein Vater, der bei der Geburt des Piranhas knapp 70 war, fand die Umstände meiner Schwangerschaft zwar nicht gerade prickelnd und schwieg sich dazu aus, bis ich mich durch die Tür kugelte, aber entwickelte unmittelbar mit der Geburt des Kleinen eine tiefe Bindung, die auch ihn selbst auf Trab hält.
Er schob ihn im Stubenwagen in den Schlaf, humpelte morgens die Treppe runter, um nach dem Abstillen das Fläschchen für den Baby-Piranha zu erwärmen, übernimmt regelmäßig Kita-Logistik und Babysitting-Dienste. Auch ist er sein Stammhalter, der den Familiennamen weiter trägt. Der kleine Piranha selbst liebt seine Familie – alle Mitglieder inkl. Hund und seinen Papa, der einfach wo ganz anders wohnt, innig.
Wir kennen viele Alleinerziehende und auch Regenbogen-Familien und bei absolut niemandem würde ich jemals auf die Idee kommen, Defizite zu attestieren, nur weil das Familienmodell nicht traditionell ist. What a bullshit!
Und ganz ehrlich: In eine Schule, die die Kinder entsprechend indoktriniert, würde ich den Piranha niemals einschulen.
Vielleicht bekomme ich ja auch Baba-Opa noch überzeugt. Leben tut er das Anti-Traditions-Modell allemal – und das auch ganz wunderbar.
Eure Single City Mama