Kaum ein Thema wird in unserer Gesellschaft so tabuisiert wie die berühmte „W“-Frage. Nein, nicht „Was gibt es Morgen zum Mittag, Mama?“, zahndezimiert grinsend und mit klebrigen Händchen gestikulierend gepiepst. Viel philosophischer und definitiv nachhaltiger ist es die Frage: „Was bin ich wert?“
Schon in der frühen Kindheit lernen wir: Über Gehalt spricht man nicht und wer eckig ist, ist unbequem. Doch kann es sich nicht manchmal lohnen, unbequem zu sein? Wo führt ein Übermaß an Demut, einhergehend mit einem schwach ausgeprägten Selbstwertgefühl, denn eigentlich hin? Vielleicht über Los – aber vermutlich ohne 4000 Euro.
Lichtgestalten und Antiplimente
Ich habe das Gefühl, in jedem Freundeskreis gibt es Menschen, denen wir gern den symbolischen Tritt den in Hintern verpassen würden. Jene Lichtgestalten, die eigentlich eher im Schatten stehen und unter dem Scheffel kleben, als dass sie sich ihrer eigenen (inneren) Größe, Schönheit und Fähigkeiten überhaupt bewusst sind. Meistens sind das unheimlich liebenswerte Menschen, die mangels Konfliktfreudigkeit verboten oft Opfer freundschaftlich-kollegial getarnter, manipulativer Machenschaften werden „Könntest Du nicht…?“. „Du machst ja immer…“ . „Toll, dass Du so nett bist“ – letzteres ist ein Satz, den ich in meiner Jugend und Studienzeit selbst sehr oft gehört habe, und mich immer tierisch freute… bis mir irgendwann bewusst wurde, dass die leicht spöttische Intonation der Frage andeutete, dass es sich hier um vieles handelte, aber nicht um ein Kompliment – ein Antipliment? Verdammt, das waren doch meine Freunde, die das sagten.
Trinkgeld im Sommerschlussverkauf
Als ich ein mal mit meiner Mutter – der mit Abstand intelligentesten, toughsten und souveränsten Frau, die ich je erlebt habe – gesprochen habe und ihr sagte, dass mich diese Thematik belastete (vor allem, da ich damals nicht die geringste Ahnung hatte, wie ich es anders machen könnte), schaute sie mich entgeistert an und riet mir, zu bleiben wie ich bin. Die Menschen mögen nette Menschen und wollen keine Miesepeter, argumentierte sie. Doch was mich damals schon piekste und einen gewissen Trotz hervorrief, war die Tatsache, dass es überhaupt darum ging, was die Menschen vermeintlich „wollen“. Mainstream calling?!? Und doch: die Argumentation meiner Mutter spiegelte in vielerlei Hinsicht ihre eigene Erziehung und die weiter Teile der Gesellschaft wider. Das Dilemma: Wer soll unseren Wert eigentlich erkennen und schätzen, wenn nicht wir selbst? Der Logik nach wäre das doch wie Trinkgeld im Sommerschlussverkauf… Eigentlich ziemlich „beschappert“, wie meine Mutter immer gern sagte.
X versus Y
Es wäre schlimm, an dieser Stelle ein klassisches Gender-Klischee zu bedienen und meiner völlig subjektiven „Küch. Psych“-Erfahrung nach, sind es mindestens genauso oft Männer, die sich in selbstunsicheren Denk- und Verhaltensmustern befinden, wie Frauen.
Dennoch: Gesamtgesellschaftlich betrachtet werden wir Frauen – vieler öffentlicher Debatten zum Trotz – in den meisten Branchen immer noch schlechter bezahlt. Die Erwartungen in punkto Empathie, Fürsorge und Bescheidenheit scheinen hingegen leider allzu oft wesentlich höher zu sein, ganz zu schweigen von der Akrobatik (Kerze ohne Warm-Up), die wir im täglichen Spagat zwischen Kind und Karriere an den Tag legen müssen – zwei sich überschneidende Kreisen, in deren überschaubarer Schnittmenge wir uns im besten Falle irgendwo selbst finden. Fällt es uns schwerer, Grenzen zu setzen?
Und wie viele Menschen scheinen in unglücklichen Partnerschaften regelrecht zu verharren, mit Menschen, die eigentlich gar nicht zu ihnen passen, weil der demütige Teil ihres (Unter-)bewusstseins sagt: Der/die ist, was ich verdiene, denn er/sie spiegelt meinen Wert.
Von Posern und Idolen
Natürlich gibt es sie überall: Vermeintlich skrupellose Arschlöcher, die zwar dem trügerischen Schein nach das dickste Bankkonto, die steilste Karriere und den „Creme de la Norm“-Partner an ihrer Seite wissen , aber gefühlt ziemlich egomanische und unbequeme Zeitgenossen sind.
Und doch gibt es auch immer Menschen in unserem Umfeld, die wir schätzen und bewundern, weil sie Ecken und Kanten haben und ihren Wert – und damit gleichzeitig ihre Grenzen – souverän und respektvoll argumentieren und verteidigen können.Menschen, die wir mögen und schätzen und uns neidlos denken: Davon hätte ich gerne eine Scheibe für mich.
Ein Wert-Radar für mein Kind
Ehrlich gesagt wünsche ich mir genau das für den kleinen Piranha: Ein liebes, mitfühlendes Herz, einen feinen Sinn für Humor und gleichzeitig die innere Stärke, die es braucht, im Zweifel auch mal die Flossen eckig zu machen, Grenzen zu setzen und gegen den Strom zu schwimmen. Dass er sich seines eigenen Wertes bewusst und ihn verteidigt – sei es bei der Wahl der passenden Piranharin oder einer Gehaltsverhandlung im Job.
Liebe Grüße,
Eure Single City Mama