„Lieb, nett und immer gut gelaunt“ – diese (vermutlich) nett gemeinten Zeilen standen in unserer Abizeitung über mich. Ich kann gar nicht aufzählen, wie oft ich in meinem Leben schon gehört habe, ich wäre „zu nett“. Und das ist nicht immer als Kompliment gemeint.
Nett – das ist in unserer Gesellschaft häufig ein Synonym für konfliktscheu, durchsetzungsschwach oder schlichtweg schnöde. Jemand, der sich alles gefallen lässt und kaum aufbegehrt, weil es ihm an Selbstwert mangelt. Der „kleine Bruder von Sch…“ munkeln böse Zungen. Moooment – ich soll „zu nett“ sein? Ich hab doch gar keinen Bruder…

Little Miss Trouble – mein Idol in kleinen Scheiben? (Bild: Mr. Men Wiki)
„Bleib so, wie Du bist – die Menschen lieben nette Menschen“, sagte meine Mutter einmal pragmatisch zu mir. Und tatsächlich scheint meine „Nettigkeit“ eine meiner größten charakterlichen Stärken zu sein und wird von meinen Freunden gleichgesetzt mit Herzlichkeit, Ausstrahlung und Charisma – ein schönes Kompliment, über das ich mich aufrichtig freue.
„Angepasst“ – war das Wort, das mein Coach benutzte, als wir uns das erste mal trafen. „Fern von den eigenen Bedürfnissen und Gefühlen.“ Das klang ganz und gar nicht positiv – und ich war erstmal beleidigt. Und jetzt? Wie werde ich un-netter? Will ich das? Geht das überhaupt – bewusst anecken?
Ist es wirklich geil, ein Arschloch zu sein?
Hat Christian Möllmann Recht? Ist es wirklich erstrebenswert, ein „Arschloch“ zu sein? Fakt ist – ich bin ein fröhlicher Mensch. Ich bin aufgeschlossen und mag Menschen. Mit Herzlichkeit und Freundlichkeit lockt man selbst die muffigsten Zeitgenossen aus der Reserve – das hat mir meine Mama gezeigt. Und mit Empathie und Hilfsbereitschaft bricht man sich ja schließlich keinen Zacken aus der Krone. Ich mag es, wenn fremde Menschen mich offen anlächeln und umarme auch Menschen, die ich kaum kenne – weil es verbindlicher ist. Und verbindet. Meistens habe ich nicht das Gefühl, dass ich mir dadurch schade – oder nicht ernst genommen würde. Ich habe liebe, hilfsbereite Freunde, eine tolle Kleinfamilie, einen spannenden Job und ein fröhliches Kind, das mich glücklich macht.
Dennoch: Wenn ich auf die letzten vier Jahre zurück blicke, wird mir klar, dass eine Transformation ganz automatisch eingetreten ist, ohne dass ich bewusst etwas verändert habe.
Der Verlust meiner Mutter, meine eigene Mamarolle, der Spagat zwischen Job und Muttersein, der Alltag als Alleinerziehende mit alleinigem Sorgerecht, Unterhaltsforderungen, die Durchsetzung meiner Rechte – mit dem Oxytocin, das mein Körper direkt nach der Geburt des kleinen Piranhas en masse ausgeschüttet hat, kam der Löweninstinkt. Ich kann beißen – nicht nur, wenn es um mein Kind geht. Auch wenn mir oder anderen Unrecht widerfährt. Was andere über mich denken ist mir – über das gesunde Maß hinaus – schnurzpiepegal.
Polarisiere ich?
Neulich gab es einen Konflikt im Job und mein Chef Claus sagte zu mir „Wiebke, Du polarisierst. Die einen lieben Dich – die anderen hassen Dich. Es gibt nichts dazwischen“. Ich war erstmal perplex – und ein bisschen beleidigt. Ich und polarisieren? Harhar – in meinen „netten“ Ohren klang das nicht minder absurd als die Vorstellung, einen Marathon zu laufen. Wer sollte einen Grund haben, mich nicht zu mögen? Das ist nicht nett!
Doch je länger ich darüber nachdachte, desto mehr dämmerte es mir: Ich habe mich weiterentwickelt. Ich bin kantiger. Habe Fehler, mache Fehler. Meine Frustrationstoleranz steigt – und sinkt zugleich. Ich bin eine sozial-verträgliche Löwenmama mit Bedarfskrallen. Und das ist gut so!
Eure Single City Mama